Auf den musikalischen Spuren des Katholikentags

Auf den musikalischen Spuren des Katholikentags

„Seht, da ist der Mensch“ – unter diesem Motto stand der 100. Katholikentag, den wir, der Jugendgospelchor „stHeinRichSound“ aus der Kieler Gemeinde St. Heinrich musikalisch mitgestalten durften. Nachdem wir in den letzten Jahren mit unserer Musik bereits bis zu den Kirchentagen nach München und Mannheim gereist sind, haben wir uns dieses Jahr mit 19 Sängerinnen und Sängern, 4 Instrumentalisten und unserem Chorleiter Michael Kallabis mit unserem Programm „Shine your light“ auf den Weg nach Leipzig gemacht.

Die Stadt begrüßt uns mit Sonnenschein, Vorfreude und grünen Kirchentagsschals, mit denen wir uns natürlich auch gleich ausstatten. Ein Feeling von Klassenfahrt kommt auf, als wir uns unter ständigem Durchzählen und „Mensch, wo bist du? – Sind jetzt alle da?“- Rufen mit unseren Koffern, Schlafsäcken und Luftmatratzen in die Straßenbahn quetschen. Passenderweise sind wir in der Thomasschule untergebracht, Heimat der Thomaner und ehemalige Heimat Johann Sebastian Bachs. Mit diesem Gedanken schläft es sich gleich etwas besser auf den Isomatten – zum Glück, denn wir werden unsere gesammelte Energie für die kommenden Tage brauchen. Vier Auftritte stehen auf unserem prall gefüllten Programm, dazu kommen noch jede Menge spontane Straßenkonzerte, die wir bei jeder passenden Gelegenheit zum Besten geben – „Hört, da ist der Mensch!“.

So geht es gleich früh am nächsten Morgen auf eine erste Erkundungstour Richtung Innenstadt. Rund 40 000 Kirchentagsbesucher drängen sich auf den sonst so konfessionslosen Leipziger Straßen. Inmitten des geschäftigen städtischen Alltagslebens, Krankenhaussirenen und Verkehrslärm feiern wir auf dem Augustusplatz den Fronleichnamsgottesdienst. Der Berliner Erzbischof fordert zu mehr Menschlichkeit auf, dazu, auf die Suche zu gehen, einander zuzuhören, einander zu sehen, Verantwortung zu übernehmen. In den Steinen unter unseren Füßen steckt Geschichte – vor 27 Jahren standen hier ebenfalls Menschen, die bereit für Veränderung waren. Menschen, die Grenzen öffnen und nicht schließen wollten. Auch wir sind bereit. Gemeinsam machen wir uns auf den Weg zu unserem ersten Konzert im Felsenkeller. Der Saal ist gut gefüllt und nach kurzzeitigem Herzklopfen sind wir ganz in unserem Element und legen den vermutlich dynamischsten Auftritt unserer bisherigen Chorkarriere hin. Begeistert singt und klatscht das Publikum mit, viel zu schnell ist der Auftritt vorbei. „Ihr könnt gerne wieder kommen“, teilen uns die Veranstalter mit, als wir etwas außer Atem die Bühne verlassen. Ausgepowert? Ja. Ausgesungen? Noch lange nicht!

Am nächsten Tag erwartet uns nach einem kurzen Bummel zwischen den Bistumsständen ein Auftritt im Hamburger Bistumszelt und Treffen mit dem Erzbischof. Das Wetter ist auf unserer Seite und schickt uns genau im richtigen Moment einen Regenschauer, der die Besucher ins Zelt strömen lässt. Nur zu gerne lassen sie sich von uns dazu einladen, im „House oft the Lord“ zu verweilen und uns großzügig Applaus zu spenden. Uns bleibt nur kurz Zeit zum Luft holen, denn es geht direkt weiter zu unserem Abendkonzert in den Gemeindesaal der Neuen Probsteikirche. Trotz klimatechnischer Herausforderung halten sich Instrumentalisten, Singende und Publikum wacker: Der proppenvolle Saal scheint genauso viel Spaß zu haben wie wir. Zugabe-Rufe begleiten uns auf dem Weg nach draußen. Und wer sagt denn, dass für ein Konzert Instrumente oder ein Dach nötig sind? Spontan geben wir unsere Zugabe auf dem Platz vor der Neuen Probsteikirche. Weil sowohl wir als auch die Nacht ja bekanntlich noch jung sind und wir einfach so viel Spaß mit dem begeisterten Publikum haben, lassen wir den Tag mit einem spontanen Open Air Konzert auf dem Marktplatz ausklingen und singen, bis die Sterne aufgehen. Statt gefürchteten Widerspruchs ernten wir Zuspruch und ein überschwängliches „Ihr wart ja nochmal die Steigerung der Wise Guys“ eines euphorischen Zuschauers.

Der vorletzte Tag läuft entspannt an und bietet uns ausreichend Gelegenheit, um Veranstaltungen, Gottesdienste und Podiumsdiskussionen zu besuchen oder einfach ein bisschen durch die Stadt zu schlendern. Musik ist in diesen Tagen das verbindende Element, das als internationale Sprache über alle Konfessionen, Länder und Kulturen hinweg an jeder Straßenecke anzutreffen ist. Doch zwischen Big Band, A capella, Jazz und Rockklängen werden auch kritische Töne laut. Es wird über das Frauendiakonat diskutiert, eine Demonstration gegen TTIP formiert sich, der Ruf nach Armutsbekämpfung und einem offenen Europa ist nicht zu überhören. Immer wieder wird deutlich: Das Leitwort möchte über innerkirchliche Thematiken hinaus zu politischen Veränderungen auffordern, zu Barmherzigkeit im Alltag. Im Einklang mit Papst Franziskus‘ Aussage „Diese Wirtschaft tötet“ ist die Rede von globaler Verantwortung, Gerechtigkeit und nachhaltiger Wirtschaft. Auch wenn viele dieser Ideen – manchmal direkt an Ort und Stelle – im Moment noch durch plastikverpackte Fragezeichen von der Realität getrennt werden, so präsentiert sich die Kirche auf diesem Kirchentag doch als eine Gemeinschaft, die sich danach sehnt, aufzubrechen, die sich einig ist, dass wir flüchtende Menschen nicht ertrinken lassen dürfen. Und manchmal ist es wichtig, sich trotz aller Zweifel einfach zu überwinden, mutig zu sein und Vertrauen zu haben.

So wie wir bei unserem letzten geplanten Auftritt unter freiem Himmel auf die Autobatterie unseres Kirchenbusses vertrauen mussten, die die Stromversorgung für unsere Instrumente lieferte. Auch das hat aller Zweifel zum Trotz schließlich super geklappt. Wir verbringen den letzten Abend mit gemeinsamen Liedern vor unserem Quartier. Als Katholikentags-I-Tüpfelchen treffen wir dort noch auf eine kleine Gruppe des Thomanerchores, die uns großzügig ein kleines nächtliches Privatkonzert geben – was für ein gelungener Abschluss! Erst, nachdem unser Akkord von „Shine your light“ noch einmal verklungen ist, löschen wir das Licht und fallen ein letztes Mal auf unsere Isomatten. Der Höhepunkt dieser fünf Tage? Schwer zu sagen. Die Uraufführung des Oratoriums „Psalm 2016“ von Gregor Linßen? Das Wise Guys Konzert? Der Moment, als wir nach der Zugfahrt im unklimatisierten 38 Grad mollig-warmen Zugabteil der Deutschen Bahn wieder den kühlen nordischen Wind um die Nase hatten? Nein, es war das Miteinander, das gemeinschaftliche Singen, Lachen, Sonnencreme-Teilen und abwechselnde „Sind denn jetzt alle da?“-Rufen. Wir sind froh und dankbar, dass wir dabei gewesen sind und diesen Kirchentag mit unserer Musik ein Stück weit mitgestalten durften. Ja, wir sind jetzt alle da. Da, seht, da sind die Menschen. Sänk ju, Leipzig!

 

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